5  Integration von Zeit in GIS

In einem herkömmlichen GIS kann die Realität nur zu einem festen Zeitpunkt dargestellt werden, wobei der Datenbestand zwar nach Einfüge- und Update-Operationen aus ver­schiedenen zeitlichen Bezügen stammen kann, aber eine Information zu Änderungen im Zeitablauf bzw. zu der Dynamik eines betrachteten Systems stehen nicht zur Verfügung. Jede dargestellte Entität verfügt nur über einen definierbaren Zustand, für den Veränderungen nur durch Überschreiben der vorhergehenden Eigenschaften festgehalten werden können. Der in der Literatur festzustellende Trend, Zeit als zusätzliche Dimension in GIS zu integrieren, läßt sich auf zwei Faktoren zurückführen: zum einen besteht auf der Anwenderseite die Forderung an das Modellierungswerkzeug GIS, geographische Phäno­mene nicht nur in ihrer räumlichen, sondern ebenfalls in ihrer zeitlichen Ausdehnung zu erfassen. Zum anderen ist es durch die Hardware-Entwicklung möglich, sehr umfang­reiche Datenmengen, wie sie bei zeitintegrativen Systemen zwangsläufig entstehen, wirt­schaftlich auf Sekundärspeichermedien zu verwalten (PEUQUET 1999, S. 91; PÁPAY 1998, S. 178).

5.1 Operationalisierung des Zeitbegriffs

5.1.1 Strukturelle Merkmale

Ein konzeptionelles Modell, das die Dynamik in geographischen Fragestellungen erfassen soll, muß den Begriff „Zeit“ derart operationalisieren, daß er in einem Computer­system implementierbar ist. Dazu müssen diejenigen Aspekte des abstrakten Begriffs ex­trahiert werden, anhand derer sich Zeit diskret abbilden läßt. Voraussetzung hierzu ist auf konzeptioneller Ebene die Feststellung, wie sich Zeit äußert und anhand welcher Merk­male sich temporale Bezüge festmachen lassen. LANGRAN (1992) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff „Karthographische Zeit“ (cartographic time), um die spezifische Sicht auf das Thema „Zeit“ in einem GIS zu betonen: es geht nicht darum, das Wesen von Zeit an sich zu erklären, was der Philosophie und Physik vorbehalten bleibt, sondern die beobachtbaren Auswirkungen von Zeit in seinen wichtigsten Aspekten festzu­halten und vor allem in einem diskreten Datenmodell darzustellen (LANGRAN 1992, S. 28).

Als Ausgangspunkt der Betrachtung kann die Zielsetzung eines zeitintegrativen GIS dienen, d.h. welche zeitbezogenen Aspekte möchte ein potentieller GIS-Anwender unter­suchen. Unter dieser Prämisse lassen sich zwei grundsätzliche Ziele voneinander abgrenzen (PEUQUET 1999, S. 92):

  • In der statisch orientierten Sicht versucht man, Zustände anhand eines gegebenen Zeitpunktes oder Intervalls zu bestimmen. Beispielsweise möchte ein Historiker wis­sen, welche Flächen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu welchem Staat gehörten und welche Einwohnerzahlen für diese Zeit erhoben wurden.

  • Die dynamisch orientierte Sicht zielt darauf ab, die Veränderungen aufzuzeigen, die sich innerhalb einer gegebenen Zeitspanne ergeben haben. Hiermit läßt sich nachvoll­ziehen, wie sich die Vegetation nach einem Waldbrand erholt und welche Pflanzen­arten sich in welchem Zeitraum über welche Fläche ausbreiteten.

Daraus läßt sich die Anforderung an ein räumlich-temporales GIS ableiten, daß sowohl verschieden Zustände als auch die Veränderungen, die dazu geführt haben, im System präsent sein müssen. Dazu ist es nicht zwangsläufig notwendig, beide Sachverhalte in ex­pliziter Form vorzuhalten, da es möglich ist, einen Aspekt aus dem anderen abzuleiten.

Ein Zustand läßt sich hinsichtlich seiner zeitlichen Eigenschaften derart charakterisieren, daß er im Gegensatz zu einem augenblicklichen Ereignis eine Ausdehnung besitzt. Ein Fakt, der den Zustand eines Objektes beschreibt, ist für ein Zeitintervall wahr, aber nicht vor und nicht nach dem Intervall. Ein Ereignis läßt sich dahingegen auf einen Zeitpunkt reduzieren, an dem es sich ereignet. Somit werden Zustände durch Ereignisse voneinander getrennt, wobei ein Fakt durch ein Ereignis wahr wird, für einen Zeitraum wahr bleibt und durch ein anderes Ereignis seine Gültigkeit verliert (JENSEN/SNODGRASS 1996, S. 3; ALLEN/ EDWARDS/ BÉDARD 1995, S. 405).

Eine in der Literatur häufig anzutreffende Meinung geht davon aus, daß das wesentliche Konzept für Zeit das der Veränderung ist. „The passage of time is important only because changes are possible with time. ... The concept of time would become meaningless in a world where no changes were possible.“ (SHOHAM/GOYAL 1988, zitiert nach WORBOYS 1998b, S. 2, Herauslassung durch WORBOYS) Daraus leitet sich ab, daß Veränderungen und damit verbundene Konzepte wie Ereignisse und Prozesse handhab­bare Konstrukte sind, um Zeit in einem Computersystem abzubilden (WORBOYS 1998b, S. 2).

Veränderungen können kontinuierlich verlaufen oder sich auf bestimmte Zeitpunkte be­schränken, zwischen denen die Eigenschaften unverändert bleiben. Die Bewegung eines Gletschers wird zu einzelnen Zeitpunkten registriert und die dazwischenliegenden Posi­tionen lassen sich interpolieren, um die stetige Bewegung zu erfassen. Administrative Grenzen dahingegen werden zu festen Zeitpunkten geändert, und dazwischen findet keine Veränderung statt (WORBOYS 1995, S. 310).

Strukturell betrachtet kann Zeit in einem einfachen linearen Grundmodell als eine total geordnete Sequenz beschrieben werden, die sich von der Vergangenheit über die Gegen­wart bis in die Zukunft erstreckt. Diese Struktur läßt sich modifizieren, indem diese Ord­nung lediglich partiell gefordert ist. Damit kann ein zeitlicher Verlauf mit Verzweigungen modelliert werden, in dem Zeit von der Vergangenheit bis zur Gegenwart ebenfalls als ein einzelner Zeitstrahl dargestellt ist, dieser sich dann aber für zukünftige Zeitabschnitte in separate Äste verzweigt. Jeder dieser Äste repräsentiert eine unabhängige Variante, die in der Zukunft realisiert werden könnte und zeitlich parallel zu den anderen Varianten ver­läuft (SNODGRASS 1992, S. 23). Diese Äste können für unterschiedliche Planungsalter­nativen stehen und sich selbst wiederum verzweigen, falls eine Planung in einem Teil­projekt nochmals alternative Varianten enthält (WORBOYS 1995, S. 309). Eine zyklische Struktur ergibt sich, wenn periodische Phänomene betrachtet werden. Beispielsweise kön­nen Vegetationsphasen oder der Gang der Jahreszeiten als Zyklen betrachtet werden, die iterativ entlang einer wiederum linearen Zeitachse ablaufen.(CHEYLAN/ LARDON 1993, S. 162; FRANK 1998, S. 53)

Abbildung 15: Zeitbezogene Strukturen



Quelle: Nach WORBOYS 1998a, S. 30, verändert

Betrachtet man Zeit modellhaft als eine eindimensionale Struktur, so lassen sich Zustände und die sie begrenzenden Ereignisse als Linien und Punkte darstellen. Dabei wird Zeit als eine Abfolge von Zuständen interpretiert, wobei ein Zustand durch ein Ereignis in einen Folgezustand überführt wird. Damit ist eine einfache Topologie gegeben, aus der benach­barte Zustände ableitbar sind (LANGRAN 1992, S. 32; VRANA 1990, S. 300).

Abbildung 16: Die Topologie kartographischer Zeit

 

Quelle: LANGRAN 1992, S. 33

LANGRAN (1992, S.32) unterscheidet hierbei zwischen Versionen und Mutationen ein­zelner Objekte einerseits, und bezieht das Begriffspaar Zustand und Ereignis andererseits auf die Summe der Einzelobjekte, die im Falle eines GIS eine Karte bilden.1 Damit sind Ereignisse die Summe aller zeitlich unterschiedlichen Objektmutationen, d.h. zwei gleich­zeitige Mutationen lassen sich auf ein Ereignis zurückführen (LANGRAN 1992, S. 33; vgl. Abbildung 16).

In BILL 1992 werden die äußerst unterschiedlichen Ansprüche an eine Zeitskala betont, die sich aus den jeweiligen Anwendungsgebieten ergeben. Geologen bearbeiten einen Be­reich von mehreren Millionen Jahren, Archäologen im Bereich von einigen tausend Jahren, Forst- und Landwirtschaftsanwendungen im Bereich von Jahrzehnten. Neben dieser Gruppe der langfristig veränderlichen Zustände beschränken sich Anwendungen mit mittelfristigen zeitlichen Bezügen auf Tage, Monate und Jahre. Höchste Anforderungen stellen Anwendungen mit einem Tageszyklus wie in der Meteorologie, bis hin zu Echtzeitanwendungen wie GPS-gestützten Steuerungssystemen (BILL 1992, S. 260; vgl. Abbildung 17).

Abbildung 17: Zeitliche Anforderungen verschiedener GIS-Nutzergruppen



Quelle: BILL 1996, S. 362

Präzisiert man diese Betrachtung, zeigt sich, daß dies nicht nur die Zeitspanne selbst be­trifft, die in einem Informationssystem abgebildet werden soll, sondern analog dazu auch das geforderte Auflösungsvermögen (Granularität), das die gewählte Zeitskala bietet. In einer geologischen Anwendung ist eine Auflösung in Minuten oder Sekunden unsinnig, während es in einem Navigationssystem unerläßlich ist.

5.1.2 Diskretisierung von Zeit

Im Allgemeinen wird Zeit als etwas unendliches angesehen: zwischen zwei beliebigen Zeitpunkten existieren immer noch andere Zeitpunkte. Dieses kontinuierliche Zeitmodell verhält sich isomorph zu den reellen Zahlen und enthält weder Sprünge noch undefinierte Abschnitte. Jede reelle Zahl entspricht einem Zeitpunkt, d.h. die Dauer ist gleich Null (SNODGRASS 1992, S. 23f.).

Ein diskretes Modell bildet Zeit auf die Menge der natürlichen Zahlen ab und ist damit total geordnet sowie abzählbar unendlich (RUF 1997, S. 89). Dies hat zur Folge, daß Zeit nicht mehr als eine Menge Punkte der Länge Null abgebildet werden kann, sondern in nicht mehr zerlegbare Zeiteinheiten mit einer Dauer größer Null. Dieses als Chronom be­zeichnete Atom ist die kleinste Zeiteinheit, die in einem diskreten Modell dargestellt werden kann (SNODGRASS 1992, S. 23f., TRYFONA/ JENSEN 1998, S.9).

Die diskrete Erfassung als Chronom bietet sich als Implementierungsstrategie für ein In­formationssystem an, da hiermit die endliche Darstellungsmöglichkeit in einem Computer berücksichtigt wird. Darüberhinaus entspricht es auch dem alltäglichen Umgang mit Zeit und deren Messung. Obwohl eine allgemeine Vorstellung von einem Kontinuum ausgeht, erfolgt die Angabe in Kalendern oder der Uhrzeit in diskreten Einheiten. Beispielsweise verbindet man mit der Zeitangabe „16:31 Uhr“ nicht die Vorstellung, daß ein Ereignis genau zu diesem Zeitpunkt eingetreten ist, sondern innerhalb der bezeichneten Minute. Der Unterschied zwischen diesen Systemen liegt in der Dauer eines Chronoms. Diese Granularität beträgt bei der Angabe eines Kalenderdatums einen Tag und Uhrzeiten wer­den üblicherweise mit einer maximalen Auflösung in Sekunden angegeben. Demzufolge dient das Konzept des Chonons als Raster, in das Zeitwerte eingeordnet werden (SNODGRASS 1992, S. 24). Die Verwendung eines Zeitgranulats bestimmt darüberhin­aus die Konvertierungsmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Zeitdimensionen. Bei einer monatsweisen Zeitangabe ist beispielsweise eine tagesgenaue Aussage nicht ohne zuvor vereinbarte Konventionen möglich, während der umgekehrte Weg von der feineren zur gröberen Variante direkt möglich ist, wenn entsprechende Informationen zur Synchronisierung vorliegen. Mit Hilfe dieser Aggregation auf eine gröbere Auflösung können Datenanalysen auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus durchgeführt werden (RUF 1997, S. 90).

5.1.3 Zeitangaben in einem diskreten Zeitmodell

Zeitangaben in einem diskreten Modell können mit Hilfe der Chronomen prinzipiell auf drei Arten erfolgen (RUF 1997, S. 90; SNODGRASS 1992, S. 24):

  1. Ein Zeitstempel referenziert direkt eine Basischronom der angegebenen Zeitdimen­sion. Damit wird ein Ereignis demjenigen Chronom zugeordnet, von dessen zeitlicher Ausdehnung es überdeckt wird. Dies hat zur Folge, daß bei entsprechend grober Auf­lösung mehrere Ereignisse, die sich in der Realwelt nacheinander ereignen, denselben Zeitstempel tragen und somit aus Sicht des Datenbanksystems zeitlich nicht mehr zu differenzieren sind. Um mit Hilfe von Zeitstempeln eine Gültigkeitsdauer darzustellen, muß eine Zustandsbeschreibung implizit bis zur nächsten, mit einem Zeitstempel markierten Beschreibung als gültig angenommen werden. Dabei besteht aber das Pro­blem, daß Unterbrechungen in der Lebensdauer eines Objektes über spezielle Markierungen deutlich zu machen sind.

  2. Durch ein Zeitintervall kann eine Gültigkeitsdauer direkt angegeben werden. Es um­faßt mehrere, unmittelbar aufeinanderfolgende Chronomen, die in einer verkürzten Form intensionell als eine Kombination aus Anfangs- und Endchronom darstellbar sind. Dabei können Intervalle durch absolute Angaben (z.B. „von 20.00 bis 20.15 Uhr“) oder durch den Bezug auf andere Zeitangaben relativ zu diesen definiert sein (z.B. „ab Ende ‚Sportschau‘ bis Anfang ‚Wort zum Sonntag‘“). Eine Sonderform stel­len Zeitspannen dar, die hinsichtlich ihrer Dauer festgelegt sind (z.B. „ein Jahr“), wäh­rend der konkrete zeitliche Bezug durch eine zusätzliche Verknüpfung herzustellen ist (z.B. „ab Anpfiff um 15.30 Uhr eine Halbzeit lang“).

  3. Zeitelemente stellen eine endliche Vereinigung von Zeitintervallen dar und sind unter Vereinigungs-, Durchschnitts- und Komplementbildung abgeschlossen, d.h. das Er­gebnis dieser Operationen ist wiederum ein Zeitelement.

Für Zeitintervalle lassen sich unterschiedliche Relationen zwischen zeitlichen Elementen angeben. Da sich ein Zeitstempel als einchronomiges Zeitintervall auffassen läßt, gelten diese Vergleichsrelationen auch für Beziehungen zwischen Zeitstempeln untereinander sowie zwischen Zeitstempeln und Zeitintervallen.

Abbildung 18: Vergleichsrelationen zwischen zeitlichen Elementen



Quelle: RUF 1997, S.91


 

5.2 Anwendung in einem Informationssystem

5.2.1 Temporale Dimensionen in Datenbanken

Zeit kann in Informationsystemen in zwei Dimensionen betrachtet werden (WORBOYS 1995, S. 309; SNODGRASS 1992, S. 25; WORBOYS 1994, S.28):

  • Die Datenbankzeit (transaction time) sagt aus, wann eine Änderung in der Datenbank erfaßt wurde. Der frühest mögliche Zeitpunkt in dieser Dimension fällt mit der Erstel­lungszeit der Datenbank zusammen, während die obere Grenze durch die Gegenwart markiert ist. Die Änderungssemantik dieser Zeitstempel ist append-only, d.h. diese Angaben können nicht gelöscht oder editiert werden und dienen als Protokoll der Aktivitäten zu einer Datenbank.

  • Die Weltzeit (valid time) entspricht der Zeit, wie sie in der Realwelt auftritt, d. h. wann ein Element in der Realität gültig war, ist oder sein wird und bewirkt eine Objektversionierung. Im Gegensatz zur Datenbankzeit gibt es a priori keine untere und obere Grenze, es sei denn, eine entsprechende Einschränkung ergibt sich aus der An­wendungssemantik.

Analog zu den räumlichen Dimensionen x,y,z verhalten sich auch die beiden zeitlichen Dimensionen orthogonal zueinander. Je nachdem, in welchem Umfang die beiden Dimen­sionen von Seiten des Informationssystems unterstützt werden, lassen sich vier Typen unterscheiden (RUF 1997, S. 92; ERWIG u.a.1997b, S. 6; in Klammern ist die unterstützte Zeitdimension anggeben):

  • Snapshot- oder statische Systeme (keine): dieser Typ berücksichtigt keine der beiden Dimensionen in expliziter Form. Ein zeitlicher Verlauf kann nicht dargestellt werden, da Änderungen alte Tatbestände ersetzen. Ein zeitlicher Bezug kann nur implizit ab­geleitet werden, indem der Anwender weiß, daß die Daten beispielsweise die admini­strative Gliederung der Bundesrepublik im Jahr 1988 darstellt.

  • Historische Systeme (Weltzeit): die Abbildung von Zeit bezieht sich ausschließlich auf die Weltzeit. Veränderungen innerhalb des Modells werden erfaßt, ohne die vor­herigen Zustände zu überschreiben, so daß eine versionsbezogene Sicht auf die „Ge­schichte“ eines Objekts ermöglicht wird.

  • Rollback-Systeme (Datenbankzeit): zu jeder Änderung in der Datenbank wird der entsprechende Zeitpunkt festgehalten, an dem die Änderung vorgenommen wurde. Dadurch kann der Zustand der Datenbank für jeden Zeitpunkt seit die Datenbank an­gelegt wurde, rekonstruiert werden. Der Anwender erhält dabei aber keine Sicht auf die unterschiedlichen Versionen eines Objektes, sondern sieht nur den zuletzt gültigen Status. Das Protokoll dient ausschließlich dazu, den Datenbankzustand im Fehlerfall für einem bestimmten Zeitpunkt rekonstruieren zu können.

  • Bitemporale Systeme (Weltzeit und Datenbankzeit): beide zeitlichen Dimensionen sind in das System integriert.

5.2.2 Datenbankebene für zeitliche Bezüge

In der Realisierung temporaler Datenbanken in Form von Forschungsprototypen wurden bislang unterschiedliche Wege beschritten. Wissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich dabei vornehmlich mit dem Relationalen Modell, in das zeitliche Bezüge auf verschiedenen Ebenen integriert werden können. Für dieses Modell wurden dabei folgende Möglichkeiten vorgeschlagen, die sich darin unterscheiden, in welchem Umfang Teile der Datenbank von einer Versionierung erfaßt werden (RUF 1997, S.93f.; STORY/ WORBOYS 1995, S. 414; NEWELL/ THERIAULT/ EASTERFIELD 1992, S. 430):

  • Auf der gröbsten Ebene werden vollständige Relationen bzw. Tabellen eines RDBMS in Versionen abgelegt. In einem OODBMS entspräche dieses Vorgehen einer verän­derten Kopie der Extension einer Klasse, d.h. die Menge aller Objekte diesen Typs. Diese Methode führt selbstverständlich zu hohen Redundanzen.

  • In einer differenzierteren Vorgehensweise werden lediglich einzelne Tupel versioniert, indem das Schema der Relation um ein Zeitattribut erweitert wird, welches dann Be­standteil des Primärschlüssels ist. Der Primärschlüssel besteht in diesem Fall aus zwei Komponenten: einem Schlüssel zur Identifizierung der Entität und dem Zeitattribut für den Zeitabschnitt, den ein Tupel für die Entität beschreibt. In einem objektorientierten System kann dieses Verfahren analog in Form von Objektversionen implementiert werden.

  • Die einzige tatsächlich redundanzfreie Methode stellt die Attributsversionierung dar, da hier lediglich die unmittelbar betroffenen Eigenschaften zu einer neuen Version führen. Technisch betrachtet läßt sich dieses Prinzip durch Listen realisieren, die Paare mit Zeitangaben und Attributswert führen. Für relationale Systeme gilt hier aber, daß diese Wertepaare die erste Normalform (Beschränkung auf atomare Werte) durch­brechen und im Sinne der relationalen Theorie nicht zulässig sind.

5.2.3 Zeitlicher Bezug in Attributen

Betrachtet man sich den Zusammenhang von zeitbezogenen Daten in Form von Attributen in einem GIS näher, so zeigt sich, daß hier unterschiedliche Typen zu berücksichtigen sind. Zeitinvariante Attribute sind im Zeitablauf unveränderlich und bleiben während der gesamten Lebenszeit eines Objektes konstant. Die dauerhafte Gültigkeit ist eine Be­dingung für Attribute mit identifizierendem Charakter wie den Primärschlüssel-Attributen im Relationalen Modell oder der Objektidentität in objektorientierten Systemen. Diese Eigenschaften definieren die Identität eines Objekts und werden von anderen Objekten dazu benutzt, Referenzen darauf einzurichten (SNODGRASS 1992, S. 34 f.; CHARALAMPOS/ THEODOULIDIS/ LOUCOPOULOS 1991, S. 276). Hier stellt sich die Frage, welche Eigenschaften sich ändern können und in welchem Ausmaß diese Änderungen möglich sind, ohne daß hiervon die Lebensdauer des Geo-Objekts selbst be­troffen ist. Technisch gesehen ist die Verwaltung der Objektidentität einfach zu bewältigen, da die OID völlig unabhängig von den Attributen ist. Das Problem liegt viel­mehr auf der Ebene des Anwendungsmodells, in dem klar formuliert werden muß, auf­grund welcher Eigenschaften ein Objekt identifiziert wird und damit, welche Änderungen die Lebensdauer eines Geo-Objekts begrenzen (LANGRAN 1992, S. 34f.).

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Zeit selbst als Attributwert zu verwenden, wo­bei der Wert in diesem Fall aus einer temporalen Domäne stammt. Diese Attributierung besitzt keine spezielle Semantik, sondern stellt lediglich einen anderen Wertebereich als Zahlentypen oder Zeichenketten dar (CHARALAMPOS/ THEODOULIDIS/ LOUCOPOULOS 1991, S. 276).

Zeitlich variable, nicht-räumliche Attribute sind Gegenstand konventioneller temporaler Datenbanken. Diese Attribute können beispielsweise Zeitreihen demographischer Daten oder andere einfache Werte mit Verlaufscharakter darstellen. Im Zentrum der Betrachtung eines temporalen GIS stehen zeitlich variable, räumliche Attribute, die Veränderungen der räumlichen Eigenschaften eines Geo-Objektes aufzeigen. Als Beispiele lassen sich hier Veränderungen in der Parzellierung einer Flur, Grenzverlagerungen zwischen administra­tiven Einheiten, Positionsänderungen eines mobilen Objektes oder die Ausbildung von Mäandern anführen (SNODGRASS 1992, S. 34f.).


 

5.3 Konzepte zur Modellierung räumlich-temporaler Objekte

5.3.1 Schnappschußmodell

Das einfachste Datenmodell zur Abbildung räumlich-temporaler Daten ist das Schnapp­schußmodell (Zeitscheiben- / Snapshotmodell). Dazu wird eine temporale Serie von räum­lich festgelegten Schnappschüssen erstellt, die in je einem Layer abgelegt werden. Damit ist dies das einzige Datenmodell, daß zur Darstellung zeitlicher Abläufe in einem konven­tionellen GIS zur Verfügung steht (PEUQUET 1999, S. 93 f.; SWIACZNY/OTT 1999, S87f.; vgl. Abbildung 19).

Abbildung 19: Das Schnappschußmodell

 

Quelle: PEUQUET 1999, S. 93

Während normalerweise ein Layer einen thematischen Aspekt des betrachteten Weltaus­schnitts repräsentiert, wird im Zeitscheibenmodell ein thematisches Attribut im zeitlichen Ablauf diskretisiert. Jeder Layer beinhaltet den gesamten Ausschnitt unabhängig davon, was sich tatsächlich seit dem letzten Schnappschuß geändert hat und ist zeitlich homogen.

Mit diesem Modell kann sehr einfach der Zustand zu einem gegebenen Zeitpunkt ermittelt werden, indem man den entsprechenden Schnappschuß betrachtet. Andererseits ist der Speicherbedarf bei dieser Methode enorm, da jeweils der gesamte Ausschnitt neu aufge­nommen wird. Entsprechend hoch ist auch die Redundanz zwischen den Schnappschüs­sen, da man nicht davon ausgehen kann, daß sich alle Entitäten im Ausschnitt geändert haben und damit viele identische Versionen im System vorgehalten werden. Stehen nicht Zustände sondern Veränderungen im Interesse des Anwenders, müssen diese aufwendig durch sequentielle Vergleiche der einzelnen Zeitscheiben aufgebaut werden. Das Modell enthält diese Information nur implizit. Die Wahl der Zeitpunkte für die einzelnen Schnappschüsse ist dann kritisch, wenn diese so weit auseinander liegen, daß kurzlebige Änderungen nicht dokumentiert werden, da sie genau zwischen zwei aufeinanderfolgen­den Scheiben liegen. Und schließlich läßt sich der Zeitpunkt einer Änderung hier nicht genau bestimmen, da nur sichere Aussagen über den Zustand zu einem Zeitpunkt möglich sind, nicht aber wann dieser Zustand eingetreten ist (PEUQUET 1999, S. 93f.; YUAN o.J., Abschnitt II/1; LANGRAN 1992, S. 38f.).

5.3.2 Raum-Zeit Würfel

In einem Raum-Zeit-Würfel wird die temporale Dimension in der zweidimensionalen Ebene auf einer dritten, orthogonalen Achse abgetragen. Das führt dazu, daß ursprünglich zweidimensional dargestellte Objekte zu echten dreidimensionalen Gebilde transformiert werden. Aus einem Punkt wird somit eine Linie, eine Linie wird zu einer Fläche und eine Fläche wird als dreidimensionaler Körper dargestellt. Hinsichtlich einer Implementierung dieses Modells stellt sich die Problematik, wie topologische Konsistenzbedingungen zu bewahren sind, und ob die Übergänge zwischen zwei Zuständen interpoliert oder in dis­kreten Schritten dargestellt werden sollen (LANGRAN 1992, S. 37; vgl. Abbildung 20)

Abbildung 20: Der Raum-Zeit-Würfel

 

Quelle: LANGRAN 1992, S. 30

5.3.3 Grundkarten mit Überlagerungen

In diesem Modell steht die Erfassung von Veränderungen im Mittelpunkt. Als Basis dient ein Ausgangszustand, der für die Gesamtregion festgehalten wird. Nachfolgend werden lediglich die Veränderungen relativ zu dem unmittelbar vorhergehenden Zustand registriert.

Abbildung 21: Grundkarten mit Überlagerungen

Quelle: LANGRAN 1992, S. 39/ S.40, verändert

Der Vorteil dieses Modells gegenüber den bisher betrachteten Methoden ist in dem öko­nomischen Umgang mit dem verfügbaren Speicherplatz zu sehen. Darüberhinaus erweist es sich vor dem Hintergrund der Anwendungslogik eines temporalen GIS als günstig, zeitliche Verläufe anhand der Veränderungen festzumachen, da diese die zentralen Aspekte nachfolgender Analysen sind (LANGRAN 1992, S. 39ff).

5.3.4 Raum-Zeit-Zusammensetzungen

Das Modell des Raum-Zeit-Zusammensetzungen (Space-time composite) nach LANGRAN/ CHRISMAN 1988 stellt eine logische Weiterentwicklung des zuvor darge­stellten veränderungsorientierten Modells dar, indem ausgehend von einem Basiszustand die Veränderungen zum nächsten Zeitschnitt erfaßt werden. Diese Veränderungen werden aber nicht in separate Layern abgelegt, sondern innerhalb eines Layers miteinander ver­schnitten. Für die Aufnahme jeder Veränderung gilt, daß dieser Teil von der Ausgangs­fläche abgetrennt wird und über eine eigene Historie verfügt, die ihn von den benachbar­ten Flächen unterscheidet.

Abbildung 22: Raum-Zeit-Zusammensetzungen

Quelle: LANGRAN 1992, S. 41

Die Verschneidung wird für jede erfaßte Veränderung wiederholt, so daß die ursprüng­lichen Flächen in zunehmend kleinere Fragmente zerlegt werden. Letztendlich entsteht eine Objektmenge in zwei räumlichen Dimensionen, die räumlich und in ihrem zeitlichen Verlauf eines betrachteten Attributs disjunkt sind (LANGRAN 1992, S. 41 f.; YUAN o.J., Abschnitt II/1).

5.3.5 Bitemporale Objekte

Die räumlichen Grundelemente bitemporaler Objekte (WORBOYS 1998a) sind Simplizialkomplexe, die mit einem sog. bitemporalen Element (BTE, JENSEN/ SOO/ SNODGRASS 1992, S. 2) verknüpft werden, welches die zeitliche Variabilität in den temporalen Dimensionen Datenbankzeit und Weltzeit beschreibt. Damit findet eine geo­metrisch-topologische Zerlegung in Simplexe statt, die in einem weiteren Schritt zu kom­plexen Objekten rekombiniert und mit einem Zeitstempel versehen werden.

Abbildung 23: Bitemporale Objekte

Quelle: WORBOYS 1998a, S.37

 


 

5.4 Schlußfolgerungen für die Integration von Zeit in GIS

Nach einem Vergleich der hier vorgestellten Methoden lassen sich zwei Elemente festma­chen, die sich für eine Umsetzung in einem zeitintegrativen GIS anbieten:

  1. Die Speicherung aller Zustände wie im Snapshot-Modell führt zu einer hohen Redundanz. Damit wird zwar der Zugriff auf unterschiedliche Versionen eines Geo-Objektes erleichtert, andererseits muß dieser Vorteil über eine Mehrfacherfassung er­kauft werden. Günstiger erscheint eine Variante, die auf der Grundlage eines Basiszu­stand lediglich in chronologischer Reihenfolge die jeweiligen Veränderungen erfaßt.

  2. Voraussetzung hierfür ist ein geometrischer Zerlegungsansatz, der die räumliche Aus­dehnung der Geo-Objekte im Zeitablauf in kleinste homogene Einheiten zerlegt, die dann zur Darstellung eines Zustandes wieder zu einer umfassenden Objektdarstellung kombiniert werden können.

1 Da sich die vorliegende Arbeit mit dem objektorientierten Paradigma beschäftigt, und sich dort der Begriff „Zustand“ auf einzelne Objekte bezieht, soll hier im weiteren Verlauf der objektbezogenen Verwendung gefolgt werden.


 

© 2014 Zeit in Geografischen Informationssystemen (GIS), Frank Hellwich