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5.2 Anwendung in einem Informationssystem

5.2.1 Temporale Dimensionen in Datenbanken

Zeit kann in Informationsystemen in zwei Dimensionen betrachtet werden (WORBOYS 1995, S. 309; SNODGRASS 1992, S. 25; WORBOYS 1994, S.28):

  • Die Datenbankzeit (transaction time) sagt aus, wann eine Änderung in der Datenbank erfaßt wurde. Der frühest mögliche Zeitpunkt in dieser Dimension fällt mit der Erstel­lungszeit der Datenbank zusammen, während die obere Grenze durch die Gegenwart markiert ist. Die Änderungssemantik dieser Zeitstempel ist append-only, d.h. diese Angaben können nicht gelöscht oder editiert werden und dienen als Protokoll der Aktivitäten zu einer Datenbank.

  • Die Weltzeit (valid time) entspricht der Zeit, wie sie in der Realwelt auftritt, d. h. wann ein Element in der Realität gültig war, ist oder sein wird und bewirkt eine Objektversionierung. Im Gegensatz zur Datenbankzeit gibt es a priori keine untere und obere Grenze, es sei denn, eine entsprechende Einschränkung ergibt sich aus der An­wendungssemantik.

Analog zu den räumlichen Dimensionen x,y,z verhalten sich auch die beiden zeitlichen Dimensionen orthogonal zueinander. Je nachdem, in welchem Umfang die beiden Dimen­sionen von Seiten des Informationssystems unterstützt werden, lassen sich vier Typen unterscheiden (RUF 1997, S. 92; ERWIG u.a.1997b, S. 6; in Klammern ist die unterstützte Zeitdimension anggeben):

  • Snapshot- oder statische Systeme (keine): dieser Typ berücksichtigt keine der beiden Dimensionen in expliziter Form. Ein zeitlicher Verlauf kann nicht dargestellt werden, da Änderungen alte Tatbestände ersetzen. Ein zeitlicher Bezug kann nur implizit ab­geleitet werden, indem der Anwender weiß, daß die Daten beispielsweise die admini­strative Gliederung der Bundesrepublik im Jahr 1988 darstellt.

  • Historische Systeme (Weltzeit): die Abbildung von Zeit bezieht sich ausschließlich auf die Weltzeit. Veränderungen innerhalb des Modells werden erfaßt, ohne die vor­herigen Zustände zu überschreiben, so daß eine versionsbezogene Sicht auf die „Ge­schichte“ eines Objekts ermöglicht wird.

  • Rollback-Systeme (Datenbankzeit): zu jeder Änderung in der Datenbank wird der entsprechende Zeitpunkt festgehalten, an dem die Änderung vorgenommen wurde. Dadurch kann der Zustand der Datenbank für jeden Zeitpunkt seit die Datenbank an­gelegt wurde, rekonstruiert werden. Der Anwender erhält dabei aber keine Sicht auf die unterschiedlichen Versionen eines Objektes, sondern sieht nur den zuletzt gültigen Status. Das Protokoll dient ausschließlich dazu, den Datenbankzustand im Fehlerfall für einem bestimmten Zeitpunkt rekonstruieren zu können.

  • Bitemporale Systeme (Weltzeit und Datenbankzeit): beide zeitlichen Dimensionen sind in das System integriert.

5.2.2 Datenbankebene für zeitliche Bezüge

In der Realisierung temporaler Datenbanken in Form von Forschungsprototypen wurden bislang unterschiedliche Wege beschritten. Wissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich dabei vornehmlich mit dem Relationalen Modell, in das zeitliche Bezüge auf verschiedenen Ebenen integriert werden können. Für dieses Modell wurden dabei folgende Möglichkeiten vorgeschlagen, die sich darin unterscheiden, in welchem Umfang Teile der Datenbank von einer Versionierung erfaßt werden (RUF 1997, S.93f.; STORY/ WORBOYS 1995, S. 414; NEWELL/ THERIAULT/ EASTERFIELD 1992, S. 430):

  • Auf der gröbsten Ebene werden vollständige Relationen bzw. Tabellen eines RDBMS in Versionen abgelegt. In einem OODBMS entspräche dieses Vorgehen einer verän­derten Kopie der Extension einer Klasse, d.h. die Menge aller Objekte diesen Typs. Diese Methode führt selbstverständlich zu hohen Redundanzen.

  • In einer differenzierteren Vorgehensweise werden lediglich einzelne Tupel versioniert, indem das Schema der Relation um ein Zeitattribut erweitert wird, welches dann Be­standteil des Primärschlüssels ist. Der Primärschlüssel besteht in diesem Fall aus zwei Komponenten: einem Schlüssel zur Identifizierung der Entität und dem Zeitattribut für den Zeitabschnitt, den ein Tupel für die Entität beschreibt. In einem objektorientierten System kann dieses Verfahren analog in Form von Objektversionen implementiert werden.

  • Die einzige tatsächlich redundanzfreie Methode stellt die Attributsversionierung dar, da hier lediglich die unmittelbar betroffenen Eigenschaften zu einer neuen Version führen. Technisch betrachtet läßt sich dieses Prinzip durch Listen realisieren, die Paare mit Zeitangaben und Attributswert führen. Für relationale Systeme gilt hier aber, daß diese Wertepaare die erste Normalform (Beschränkung auf atomare Werte) durch­brechen und im Sinne der relationalen Theorie nicht zulässig sind.

5.2.3 Zeitlicher Bezug in Attributen

Betrachtet man sich den Zusammenhang von zeitbezogenen Daten in Form von Attributen in einem GIS näher, so zeigt sich, daß hier unterschiedliche Typen zu berücksichtigen sind. Zeitinvariante Attribute sind im Zeitablauf unveränderlich und bleiben während der gesamten Lebenszeit eines Objektes konstant. Die dauerhafte Gültigkeit ist eine Be­dingung für Attribute mit identifizierendem Charakter wie den Primärschlüssel-Attributen im Relationalen Modell oder der Objektidentität in objektorientierten Systemen. Diese Eigenschaften definieren die Identität eines Objekts und werden von anderen Objekten dazu benutzt, Referenzen darauf einzurichten (SNODGRASS 1992, S. 34 f.; CHARALAMPOS/ THEODOULIDIS/ LOUCOPOULOS 1991, S. 276). Hier stellt sich die Frage, welche Eigenschaften sich ändern können und in welchem Ausmaß diese Änderungen möglich sind, ohne daß hiervon die Lebensdauer des Geo-Objekts selbst be­troffen ist. Technisch gesehen ist die Verwaltung der Objektidentität einfach zu bewältigen, da die OID völlig unabhängig von den Attributen ist. Das Problem liegt viel­mehr auf der Ebene des Anwendungsmodells, in dem klar formuliert werden muß, auf­grund welcher Eigenschaften ein Objekt identifiziert wird und damit, welche Änderungen die Lebensdauer eines Geo-Objekts begrenzen (LANGRAN 1992, S. 34f.).

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Zeit selbst als Attributwert zu verwenden, wo­bei der Wert in diesem Fall aus einer temporalen Domäne stammt. Diese Attributierung besitzt keine spezielle Semantik, sondern stellt lediglich einen anderen Wertebereich als Zahlentypen oder Zeichenketten dar (CHARALAMPOS/ THEODOULIDIS/ LOUCOPOULOS 1991, S. 276).

Zeitlich variable, nicht-räumliche Attribute sind Gegenstand konventioneller temporaler Datenbanken. Diese Attribute können beispielsweise Zeitreihen demographischer Daten oder andere einfache Werte mit Verlaufscharakter darstellen. Im Zentrum der Betrachtung eines temporalen GIS stehen zeitlich variable, räumliche Attribute, die Veränderungen der räumlichen Eigenschaften eines Geo-Objektes aufzeigen. Als Beispiele lassen sich hier Veränderungen in der Parzellierung einer Flur, Grenzverlagerungen zwischen administra­tiven Einheiten, Positionsänderungen eines mobilen Objektes oder die Ausbildung von Mäandern anführen (SNODGRASS 1992, S. 34f.).