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6 Konzeptionelle Betrachtung eines zeitintegrativen GIS

Für die nun folgende konzeptionelle Diskussion wurden folgende Einschränkungen getrof­fen:

  1. Obwohl der Begriff ”Raum” in der Regel mit einem dreidimensionalen Bezugsrahmen assoziiert wird, erfolgt hier eine Beschränkung auf den zweidimensionalen Fall der Ebene. Die Modellierung dreidimensionaler Koordinaten unterscheidet sich nicht prin­zipiell von ebenen Daten, bedeutet aber einen erheblich höheren Verwaltungsaufwand.

  2. Als geometrische Datenstruktur werden ausschließlich Vektordaten betrachtet. Die Verarbeitung von Rasterdaten ist nicht vorgesehen.

  3. Zeit wird aus Vereinfachungsgründen lediglich in Form der Weltzeit (valid-time) er­faßt. Die zweite in Kapitel 5.2.1 angesprochene Zeitdimension, die Datenbankzeit, soll hier nicht berücksichtigt werden.

  4. Die zeitliche Variabilität wird ausschließlich für räumliche Attribute thematisiert. Für eine Diskussion über die Erfassung zeitlicher Bezüge in Standardtypen sei an dieser Stelle beispielsweise auf DYRESON/ SNODGRASS 1992 und JENSEN/SNODGRASS 1996 verwiesen.

Die hier getroffenen Einschränkungen stellen aber nicht das Modell an sich in Frage, son­dern betreffen lediglich theoretisch zwar wünschenswerte, aber nach praxisrelevanter Ein­schätzung nur unter größtem Aufwand realisierbare Eigenschaften. In einem späteren Ab­schnitt sollen einige dieser Aspekte aufgegriffen und mögliche Lösungsansätze vorgestellt werden.



Abbildung 24: Übersicht



Quelle: Eigener Entwurf

Die notwendigen Komponenten der räumlichen Datenverwaltung lassen sich grob in drei Blöcke gliedern (vgl. Abbildung 24):

  1. Das geometrische Modell verwaltet die geometrischen Daten in Form von diskreti­sierten Vektoren. Topologische Verknüpfungen werden auf dieser Ebene nicht explizit aufgebaut.

  2. Das räumlich-temporale Modell erfaßt die Entitäten hinsichtlich ihrer räumlichen Eigen­schaften sowie ihrem zeitlichen Bezug. Hier wird zwischen einfach strukturier­ten Objekten („Spaghetti-Daten“) sowie topologisch strukturierten Objekten unter­schieden.

  3. Das thematische Modell behandelt primär die semantischen Aspekte der Datenmodel­lierung. Hier können die Begriffe der Anwendungsproblematik wie ”Baublock”, ”Straßensegment” oder ”Staatsgebiet” abgebildet und über Attribute beschrieben wer­den.

Im Folgenden sollen die grundsätzlichen Zusammenhänge und spezifischen Probleme der einzelnen Ebenen dargestellt werden, um sie im nächsten Kapitel in ein objektorientiertes Datenmodell zu überführen.

6.1 Verwaltung der Geometrie-Daten

6.1.1 Geometrische Datenbasis

Das geometrische Modell verwaltet die Koordinatenwerte, die durch die Zuordnung zu einem Koordinatensystem als Positionen auf der Erdoberfläche interpretiert werden kön­nen. Zusätzliche Informationen zu den Geometrien finden sich in den Metadaten, die eine Geometriemenge hinsichtlich ihrer Qualität, Herkunft und und weiteren Eigenschaften beschreiben.

Die Vorschläge in der Literatur zur Verwaltung geometrischer und topologischer Daten konzentrieren sich vorrangig auf zwei Ansätze:

Simplizialkomplexe

Der erste Ansatz gründet auf der algebraischen Topologie nach ALEXANDROFF 1961 und verwendet Simplizialkomplexe, um damit die Datenebene auf diskrete Symbole zu reduzieren, die räumliche Konfigurationen repräsentieren (vgl. FRANK/ KUHN 1986).

Abbildung 25: Simplexe

Quelle: HÖLBLING 1996, S.10

Eine endliche Menge der in Abbildung 25 dargestellten Simplexe bilden einen Simplizial­komplex. Räumliche Operationen können damit algebraisch gelöst werden, indem beispielsweise die Suche nach dem Schnittpunkt zweier Linien durch die Bestimmung des gemeinsamen Knoten vollzogen werden kann (SCHNEIDER 1995, S. 55ff.; BITTNER/ FRANK 1997, S.20). Anschaulich betrachtet werden bei diesem Verfahren z.B. Polygon-Coverages durch eine Triangulation in einzelne Dreiecke zerlegt, die durch eine Knoten-Kanten-Struktur repräsentiert sind.

Realms

Das Konzept der Realms (GÜTING/ SCHNEIDER 1993) verwendet eine endliche Punktmenge und schnittpunktfreie Liniensegmente auf einem diskreten Gitter und kann damit als ein planarer Graph angesehen werden. Geo-Objekte können auf dieser Grund­lage definiert werden, indem man aus den Punkten und Liniensegmente die entsprechende Repräsentation kombiniert. (SCHNEIDER 1995, S. 69ff.; vgl. Abbildung 26)

Abbildung 26: Diskrete Geometriedarstellung als Realm

Quelle: SCHNEIDER 1995, S. 70

In der vorliegende Arbeit soll in Anlehnung an GÜTING/ SCHNEIDER 1993 folgende Verfahrensweise angewendet werden:

In Vektorsystemen sind einzelne Punkte die Träger der positionsbezogenen Daten. Zu­sammengehörige Punkte, die eine Linie oder die Umrandung einer Fläche darstellen, wer­den zu geordneten Punktsequenzen zusammengefaßt. In einem objektorientierten GIS können Einzelpunkte als atomare Objekte und Sequenzen als komplexe Objekte modelliert werden, auf die Instanzen der Geo-Objekt-Klassen Referenzen einrichten. Folglich bilden auf dieser Ebene nur Punkte und Linien zulässige Elemente. Die Interpretation, daß eine Punktsequenz eine Polygonumrandung und deshalb eine Fläche darstellt, erfolgt erst auf der Ebene der Geo-Objekte. Eine zusätzliche Integritätsbedingung gilt für die Geometrien der topologisch-strukturierten Geo-Objekte: hier werden sich schneidende Linien unter­brochen und die dabei entstehenden Teilstücke über einen Schnittpunkt miteinander ver­bunden.

6.1.2 Diskretisierung reeller Koordinatenwerte

Grundlage geometrischer Operationen ist ein robustes numerisches System, das systemimmanente Fehlerquellen nach einem geeigneten Regelwerk behandelt. Geo­metrische Operationen in Geographischen Informationssystemen verwenden üblicher­weise Funktionen der analytischen Geometrie, die auf einem kontinuierlichen Koordinatensystem definiert sind. In der Implementierung muß aber berücksichtigt wer­den, daß Computer Zahlen in endlichen Speicherbereichen ablegen und damit nur diskrete Punkte abbilden können, d.h. reelle Zahlen werden entsprechend gerundet. Dieses Pro­blem betrifft vor allem den Schnitt zweier Geraden, da der gespeicherte Schnittpunkt von dem geometrisch korrekten Punkt abweichen kann. Die Verwendung eines größeren Speicher­bereiches für die Koordinatenwerte, was einer Erhöhung der Anzahl der Nach­kommastellen entspricht, löst das Problem nicht, sondern verringert nur die Häufigkeit des Auftretens (HÖLBLING 1996, S.1f.; GÜTING/ SCHNEIDER 1993, S. 16f.).

Anschaulich betrachtet stellt die Menge der abbildbaren Punkte keine unendliche Menge dar wie in der analytischen Geometrie, sondern ein feines Raster regelmäßig angeordneter Punkte. Kommt der Schnittpunkt zweier Geraden nicht zufällig auf einem Rasterpunkt zu liegen, wird er durch die Koordinatenrundung auf einen solchen verschoben. Da das be­schriebene Raster sehr fein ist, wird diese Verschiebung häufig keine gravierenden Folgen für die Konsistenz der Daten haben. Es sind aber auch Situation möglich, in denen vor allem die topologischen Beziehungen räumlicher Objekte hiervon betroffen sind (GÜTING/ SCHNEIDER 1993, S. 17f.).

Abbildung 27: Kontinuierlicher Geradenschnitt über diskreter Zahlenebene

 

Quelle: Nach HÖLBLING 1996, S.16, verändert

Abbildung 27 zeigt den Schnitt zweier Geraden a und b und die daraus resultierenden Liniensegmente a´ und b´. Von der Verlagerung des Schnittpunktes S auf das diskrete Raster ist die relative Lage des Punktes P zur Geraden b betroffen, der nach dem Schnitt auf der gegenüberliegenden Seite von b´ liegt. Ist b ein Teil eines Polygonrandes und P zunächst innerhalb des Polygons, so liegt der Punkt P nach dem Schnitt außerhalb des Polygons (z.B. einem Grundstück). Weitere Probleme ergeben sich durch das hinterein­anderfolgende Schneiden einer Geraden mit mehreren anderen Geraden. Wie aus Abbildung 28 ersichtlich kann der Fall eintreten, daß der nächste Rasterpunkt immer oberhalb der Ausgangslinie liegt und die Segmente in eine Richtung ”wegdriften”, wobei sich der Fehler weiter fortpflanzt (HÖLBLING 1996, S. 3f.).

Abbildung 28: Problem des wandernden Geradensegmentes

 

Quelle: HÖLBLING 1996, S.4

Solche Schnittprobleme mit nachfolgenden Inkonsistenzen sind in einem temporalen GIS dann von höherer Relevanz als in einem konventionellen GIS, wenn die Objektgeometrien für verschiedene Zeitabschnitte nicht vollständig erfaßt werden, sondern als Ver­änderungen zu einem vorhergehenden Zustand. Bei dieser Vorgehensweise muß das System vorhandene Linien mit neu hinzugekommenen Linien schneiden und die Schnitt­punkte als Verbindungen einfügen, damit aus dieser Datenbasis sowohl der Linienverlauf zu jedem gegebenen Zeitpunkt als auch die Veränderungen zwischen zwei Zeitpunkten ableitbar sind.

Grundsätzlich ergibt sich daraus die Notwendigkeit, dieses systembedingte Problem in einer speziellen Softwareschicht zu behandeln und potentielle Fehlerquellen so weit als möglich zu minimieren. In der Literatur findet sich kein Verfahren, das topologische Fehler als Folge diskreter Schnitte vollständig eleminiert (GÜTING/ RIDDER/ SCHNEIDER 1995, S. 219). Die Methode von GREEN/ YAO 1986 beschränkt zwar das Wandern von Liniensegmenten auf einen engen Bereich (Envelope) um die ursprüngliche Linie, innerhalb dieses Bereich können aber immer noch Fehler auftreten. Darüberhinaus ist der damit erzielbare Erfolg gemessen am Rechen- und Speicheraufwand zu gering als daß ein praxisgerechter Einsatz gerechtfertigt scheint. Deshalb soll in Kapitel 7.2 ein ver­einfachtes Verfahren vorgestellt werden, das bei relativ geringen algorithmischen Kosten ebenfalls eine näherungsweise konsistente Basis für geometrische Operationen bietet.

6.1.3 Beschreibung über Metadaten

Metadaten sind Daten über Daten und dienen der Identifizierung und Nutzbarmachung von Informationen in umfangreichen Datenbeständen. Dezidierte Metainformations­systeme sollen wie Kataloge in Archiven und Bibliotheken einen nutzerorientierten Zu­gang zu komplexen Datenbanken ermöglichen (GREVE 1995, S. 207). Nach STROBL lassen sich vier inhaltliche Kategorien unterscheiden (STROBL 1995, S. 277):

  • semantische Metainformationen: die inhaltlichen Beschreibungen.

  • syntaktische Metainformationen: wie kann auf die Daten zugegriffen werden, auf welchen Datenträgern sind sie gespeichert.

  • strukturelle Metainformationen: in welcher Form liegen die Daten vor (Objekt­strukturierung, Hierarchien, Topologien).

  • Navigatorische Metainformationen: wie hängen die Daten mit anderen Daten zu­sammen.

In einem objektorientierten System können diese Metainformation unmittelbar den Klas­sendefinitionen entnommen werden, da hier sowohl die zur Verfügung stehenden Daten­felder als auch die Verknüpfungen zu anderen Dateneinheiten, die hier in Form von Objekten vorliegen, angelegt sind. Zudem ist durch die Zuordnung eines Objekts zu einer Klasse eine wichtige Metainformation, nämlich die Klassifizierung als Bestandteil der semantischen Ebene, bereits vorhanden (STROBL 1995, S. 281f.; LEYKAUF/ ALBRECHT 1993, S. 51).

Es existieren eine Vielzahl von Fallstudien zur Standardisierung von Metadaten, wie der Content Standards for Digital Geospatial Metadata des U.S. Federal Geographic Data Committee (FGDC) oder den Catalogue of Data Sources (CDS) der European Environmental Agency, die verschiedenste Aspekte sowohl der räumlichen als auch der thematischen Daten abdecken (STROBL 1995, S. 281f.). Aus Vereinfachungsgründen soll hier angenommen werden, daß sich die Metainformationen auf die Geometrie-Daten be­schränken.

6.1.4 Koordinatensysteme

Um die gespeicherten Koordinatenwerte in Bezug zu einer Position auf der Erdoberfläche zu setzen, müssen entsprechende Koordinatensysteme zur Verfügung stehen. Erst die Kombination eines numerischen Wertes mit den zugehörigen Interpretationsregeln er­geben die Information über Form und Position eines Objektes im Raum. Im GIS-Bereich ist die Beschreibung von Bezugssystemen insbesondere bei der Verwendung unterschied­licher Datenquellen von Bedeutung. In Navigationssystemen sind die Grundkarten häufig in Form von projezierten Koordinaten angegeben, während Positionsdaten über GPS in der Regel in geographischen Koordinaten (World Geodetic System 84) in das System ge­langen. Das GIS dient in diesem Fall als eine Integrationsschicht für heterogene Daten­quellen und deren Koordinatensysteme (BILL 1996, S. 204). In Kapitel 7.2.4 wird dazu ein Klassenmodell vorgestellt, das die für die Konvertierung notwendigen Parameter be­reitstellen kann.