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6.4 Darstellung der zeitlichen Variabilität

Zur Darstellung zeitlich variabler räumlicher Objekte verfolgt die vorliegenden Arbeit zwei unterschiedliche Ansätze, die aber nebeneinander bestehen können. Die Unter­scheidung ergibt sich aus daraus, daß bei der Verwendung der topologischen Struktur ein anderes Prinzip angewendet werden kann als bei der einfacheren Spaghetti-Ebene. Beiden Ansätzen gemeinsam ist, daß Zeit als eine zusätzliche Dimension orthogonal zu zwei räumlichen Achsen aufgefaßt wird. Die zeitbezogene Komponente wird in diskreten Schritten aufgezeichnet, d.h. jeder Objektzustand wird durch ein Ereignis, das eine Ver­änderung verursacht, in einen Folgezustand überführt, der bis zum Eintreten des nächsten Ereignisses gültig bleibt. Da die Zustände zeitlich unmittelbar benachbart sind und ledig­lich durch das auslösende Ereignis, welches durch einen Zeitpunkt gegeben ist, vonein­ander getrennt werden, entsteht ein Quasikontinuum, in dem für jeden Zeitpunkt und jedes Geo-Objekt ein Zustand definiert ist (vgl. Abbildung 32).

Abbildung 32: Abfolge unterschiedlicher Zustände



Quelle: Eigener Entwurf

Zur Erläuterung des Konzepts soll hier von folgendem Beispiel ausgegangen werden (vgl. Abbildung 33). Dabei ist die Betrachtung der Veränderungen im Zeitablauf bei Flächen von besonderem Interesse, da dieser Fall die größte Komplexität in sich birgt.

Abbildung 33: Veränderung



Quelle: Eigener Entwurf

Zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten t1, t2 und t3 ergibt sich die oben dargestellte Konstellation. Von den Änderungen sind nur die Flächen F1 und F2 betroffen, da sich ihre gemeinsame Grenzlinie verschiebt. Die grau dargestellten Flächen bleiben in allen Zeit­schnitten unverändert.

6.4.1 Lokaler Schappschuß

Sind die Flächen als Spaghetti-Daten abgelegt, so wird für jede veränderte Fläche eine neue Objektversion mit der neuen und vollständigen Umrandung angelegt (vgl. Abbildung 34). Ähnliche Versionierungsansätze finden sich im CAD-Bereich. Damit ergeben sich Parallelen zu dem oben angesprochenen Schnappschußmodell für ein konventionelles Layer-GIS, wobei hier aber nicht für alle Geo-Objekte einen neue Version angelegt wird, sondern nur für diejenigen, die tatsächlich von einer Änderung betroffen sind. Deshalb soll hierfür die Bezeichnung „lokaler Schnappschuß“ verwendet werden, wobei der Begriff „lokal“ unmittelbar auf ein einzelnes Geo-Objekt zu beziehen ist.

Abbildung 34: Lokaler Schnappschuß



Quelle: Eigener Entwurf

Dieses Vorgehen erweitert das unstrukturierte Spaghetti-Prinzip in die hinzugefügte orthogonale t-Achse. Datenbestände, die nach diesem Prinzip aufgebaut sind, können re­lativ einfach verwaltet werden. Abfragen, die den Zustand einer Objektmenge zu einem bestimmten Zeitpunkt betreffen, können ebenfalls mit geringem Aufwand ausgeführt wer­den. Dazu sucht das System die jeweils für diesen Zeitpunkt gültige Objektversion aus und fügt sie in die Ergebnismenge ein. Nachteilig wirkt sich die hohe Redundanz aus. Da­durch, daß nur die tatsächlich veränderten Objekte versioniert werden, ist der Speicherbe­darf gegenüber dem ursprünglichen Snapshotmodell zwar geringer, dennoch müssen viele Geometriedaten nach wie vor doppelt erfaßt werden.

6.4.2 Diskretes temporales Netzwerk

Für das topologisch-strukturierte Datenmodell wird eine andere Vorgehensweise vorge­schlagen, bei der prinzipiell ein Basiszustand festgehalten wird und nachfolgende Zeit­schnitte lediglich hinsichtlich der erfolgten Veränderung zu erfassen ist. Das Grundprinzip verwendet einen Zerlegungsprozeß in kleinste geometrische Einheiten und einer an­schließenden Rekombination zu komplexen Geo-Objekten. Damit bestehen Parallelen zu dem Space-Time Composit von LANGRAN 1992 bzw. den kleinsten gemeinsamen Geo­metrien von SWIACZNY/OTT 1999. Die vorliegenden Arbeit orientiert sich dabei an folgenden Prämissen:

  1. Die kleinsten relevanten geometrischen Elemente sind einzelne Punkte sowie geord­nete Punktsequenzen, die einfache Linien und Umrandungen von Flächen darstellen. In der Geometrie-Schicht sind deshalb keine Polygone definiert.

  2. Die geometrische Repräsentation einerseits und ihre Interpretation als Geo-Objekte andererseits ist in unterschiedliche Softwareschichten voneinander getrennt. Die Ver­waltung der Geometrien erfolgt zunächst ohne einen expliziten zeitlichen Bezug, der erst über die Verbindung zu Geo-Objekten hergestellt wird. Die redundanzfreie Be­schreibung zeitlich veränderlicher Geo-Objekte wird durch eine daraufhin ausge­richtete Verwaltug der Geometrien ermöglicht. Dazu werden auf der Geometrie-Ebene alle Linien in die kleinsten, schnittpunktfreien Linienstücke zerlegt, die dann zu neuen Verbindungslinien zu kombinieren sind.

  3. Auf der Ebene der Geo-Objekte wird eine topologische Knoten-Kanten-Struktur auf­gebaut, mit deren Hilfe auch Flächen bzw. Facetten definiert werden können. Diese Struktur wird hier als diskretes temporales Netzwerk bezeichnet, da die Erfassung der zeitlichen Veränderungen in diskreten Schritten erfolgt und die Kanten ein drei­dimensionales Netzwerk bilden, wobei die Verbindung unterschiedlicher Zeitebenen über die Knoten hergestellt wird.

Da auf der Geometrie-Ebene die Linien an Schnittpunkten in einzelne Linienstücke auf­getrennt werden, ergibt sich für die Darstellung der Flächen F1 und F2 aus obigem Bei­spiel folgende Konstellation (vgl. Abbildung 35):

Abbildung 35: Geometrieschicht



Quelle: Eigener Entwurf

Durch eine Rekombination der Linienstücke kann die Flächenumrandung für jeden Zu­stand zusammengesetzt werden. Dies erfolgt redundanzfrei, da die jeweilige Be­grenzungslinie zwischen F1 und F2 nur einmal in der Geometrie-Ebene gespeichert wird und die Flächen lediglich Verweise darauf einrichten.

Die Zerlegung in die kleinsten, schnittfreien Linienstücke erleichtert auch das Nachvoll­ziehen der flächenmäßigen Veränderung eines Geo-Objektes zwischen zwei beliebigen Zeitpunkten. Dazu betrachtet man jede Fläche zum Zeitpunkt t als eine Menge, deren Elemente die kleinsten Abschnitte der Umrandung sind. Soll nun die Fläche ermittelt wer­den, um die ein flächiges Geo-Objekt gewachsen bzw. geschrumpft ist, bildet man die symmetrische Differenz der beiden Mengen über eine logische XOR – Verknüpfung (exklusives Oder), d.h. in die Ergebnismenge gelangen diejenigen Linienstücke, die ent­weder nur in der ersten Menge oder nur in der anderen enthalten sind (vgl. Abbildung 36).

Abbildung 36: Veränderung ermitteln



Quelle: Eigener Entwurf

Durch diese einfache Mengenoperation erhält man für zwei beliebige Zustände die flä­chenmäßige Veränderung in Form der kleinsten Linienstücke, die diese Fläche begrenzen. In Abbildung 36 ist diese Operation schematisch für die Fläche F1 dargestellt. Ausgehend von der Konfiguration, wie sie sich nach der Aufnahme aller Linien ergibt, kann die Fläche F1 für jeden der betrachteten Zeitpunkte als Menge definiert werden. Wie die Bei­spiele in der unteren Reihe zeigen, ist das Ergebnis der Mengenverknüpfung unabhängig davon, ob unmittelbar aufeinanderfolgende Zustände oder beliebige Situationen mit­einander verglichen werden . Auch der Vergleich zwischen t1 und t3 ist direkt möglich und liefert das korrekte Ergebnis. In dem logischen Objektmodell soll die Operation dahin­gehend ergänzt werden, daß für das Ergebnis nachvollziehbar ist, ob es sich um einen Zu­wachs oder einen Verlust handelt.

Auf dieser zunächst rein geometrischen Grundlage soll nun die Erweiterung um topo­logische Strukturen und den expliziten zeitlichen Bezug erfolgen. Ziel dieser Betrachtung ist die Darstellung der räumlichen Daten in Form eines dreidimensionalen Netzwerks, das auf der gegebenen geometrischen Basis aufbaut. Das Beispiel in Abbildung 36 zeigt, daß man hierbei drei Punktarten unterscheiden kann:

  1. Stützpunkte liegen innerhalb einer Punktsequenz und besitzen hinsichtlich der Geo-Objekte keine topologische Bedeutung.

  2. Geometrische Schnittpunkte entstehen, wenn Linien aus verschiedenen Zeitschnitten in der Geometrie-Schicht abgelegt und in kleinste Linienstücke unterteilt werden.

  3. Topologische Knoten können nur auf der Ebene der Geo-Objekte gebildet werden, da nur hier die Informationen zur Verfügung stehen, welche Linienstücke zu einer Kante zusammenzufassen sind. Im Unterschied zu reinen Schnittpunkten, die aus der Inte­gration von Linien aus unterschiedlichen zeitlichen Ebenen resultieren und der Re­kombination der kleinsten Linienstücke zu neuen Verbindungslinien dienen, sind Knoten dadurch gekennzeichnet, daß sich hier Linien aus identischen Zeitschichten schneiden.

Das Netzwerk besteht aus Knoten und Kanten3. Im obigen Beispiel bildet die sich ver­ändernde Begrenzung zwischen F1 und F2 einen topologische Kante, die die beiden Knoten D und C miteinander verbindet. Der geometrische Verlauf dieser Kante variiert und ändert damit auch die Eigenschaften der Flächen F1 und F2. Diesen zeitlichen Verlauf kann man sich anschaulich so vorstellen, daß eine dreidimensionale Struktur auf der drit­ten Achse angibt, welche Verbindung zwischen zwei Knoten zu einem gegebenen Zeit­punkt gültig ist . Die Konfiguration des Netzwerks zu einem bestimmten Zeitpunkt läßt sich in einem Gedankenmodell derart ermitteln, daß man eine Halbebene durch die drei­dimensionale Darstellung zieht. Die resultierenden Schnittlinien zeigen alle gültigen Kan­ten zu diesem Zeitpunkt (vgl. Abbildung 37).

Abbildung 37: Diskretes temporales Netzwerk

 

Quelle: Eigener Entwurf

Für diese Art der Datenorganisation kommt den Knoten eine zentrale Bedeutung zu. Während eine Kante nur für einen zusammenhängenden Zeitabschnitt gültig ist und dann durche eine andere Repräsentation ersetzt wird, verknüpft ein Knoten mehrere Kanten aus unterschiedlichen Zeitebenen miteinander. Dadurch eignen sich die Knoten zur Navigation durch das Netzwerk, in dem Kanten aus sich überlappenden Zeitabschnitten präsent sind. Beispielsweise sind die in Abbildung 38 grau dargestellten Kanten für den gesamten be­trachteten Zeitraum gültig, während die farbig dargestellten Kanten lediglich Unterab­schnitte markieren.

Abbildung 38: Temporaler Knoten



Quelle: Eigener Entwurf

6.4.3 Temporale Beziehungen

Um die Relation zwischen zwei Zeitintervallen zu bestimmen, müssen entsprechende Prä­dikate gegeben sein. Die in Abbildung 18 gezeigte Möglichkeit besitzt den Nachteil, daß die Anzahl der Prädikate unnötig groß ist, da auch Fälle aufgenommen sind, die lediglich die Umkehrung eines bereits definierten Prädikats darstellen. Beispielsweise läßt sich aus „U overlaps T“ durch einen einfachen Operandentausch das Prädikat „T overlapped-by U“ herleiten. Hier soll auf einen Vorschlag von VOIGTMANN 1997 zurückgegriffen werden, da die dort definierten Prädikate sowohl von der Anzahl her praktikabel als auch in ihrer Ausdrucksfähigkeit ausreichend sind.

Gegeben sind zwei Zeitintervalle X = [a,b] und Y = [c,d], wobei a,b,c und d die Anfangs- und Endzeitpunkte repräsentieren. Nach VOIGTMANN lassen sich hier vier Prädikate formulieren (S. 101; vgl. Tabelle 6).

Tabelle 6: Definition temporaler Beziehungen

Beziehung

Definition

X vor Y

X precedes Y b < c

X unmittelbar vor/ nach Y

X meets Y (b = c) (a = d)

X überlappt Y

X overlaps Y ((a < c) (c < b) (b < d)) ((a > c)

 (d > a) (b > d))

X während Y

X contains Y (c a) (b d)



Quelle: Nach VOIGTMANN 1997, S. 101, verändert

Diese Prädikate können auch für den Vergleich von Zeitpunkten verwendet werden, indem man diese als Intervalle mit identischem Anfangs- und Endzeitpunkt interpretiert.

Abbildung 39: Beispiele für temporale Beziehungen

 

Quelle: Nach VOIGTMANN 1997, S. 102, verändert