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6.3 Beziehungen zwischen räumlichen Objekten

6.3.1 Besonderheiten räumlicher Beziehungen

Die Definition von räumlichen Beziehungen zwischen Objekten in einem GIS weisen einige Besonderheiten auf, die diese Systeme deutlich von anderen Informationssystemen unterscheiden. Einfache numerische Prädikate und Operatoren sind eindeutig definiert und bedürfen keiner weiteren Erläuterung (EGENHOFER/ SHARMA 1993, S. 316).
Beispielsweise ist die Datenbankabfrage „Zeige alle Angestellten mit einem Jahresgehalt > 80.000 DM“ ausreichend präzise formuliert, um sie ohne Widersprüchlichkeiten auszu­führen. Dahingegen kann das Prädikat „nördlich von Mannheim“ unterschiedlich interpretiert werden: alle Objekte auf einer nach Norden gerichteten Achse durch Mannheim, alle Objekte im 90° - Fächer nördlich von Mannheim oder alle Objekte in der 180° - Halbebene nördlich von Mannheim. Andere Operatoren sind zwar für Punkte ein­deutig definiert, aber nicht für Flächen und Linien. Die Entfernung zwischen Linien oder Flächen kann auf unterschiedliche Weise durch Reduzierung auf Punkte ermittelt werden (Mittelpunkte, Schwerpunkte usw.) (BÄHR/ SINGER/ KIESSLING 1994, S. 14). Diese Beispiele illustrieren die Probleme, die sich bei der Interpretation umgangssprachlich ge­bräuchlicher räumlicher Prädikate ergeben. Um diese Unschärfe zu bewältigen, werden in der Literatur formale Modelle eingeführt, die Begriffe wie „ist benachbart“, „schneidet“ oder „überlappt“ mengentheoretisch definieren (MARK 1999, S. 84ff.).

Im Folgenden werden ausschließlich topologische Beziehungen betrachtet. Vorschläge zur Abbildung metrischer Beziehungen wie Distanzen und Richtungsprädikate finden sich bei THEODORIDIS/ PAPDIAS 1995 und BREUNIG 1996.

6.3.2 Topologische Beziehungen

Die grundsätzliche Methodik geht von der sog Punktmengen-Topologie aus. In diesem Formalismus werden einfache geometrische Objekte in der Ebene (2) als Mengen be­trachtet, deren einzelnen Elemente Punkte sind. Die Notation P, L und A bezeichnet je­weils die Menge der Punkte, Linien und Flächen. Jedes Objekt stellt eine abgeschlossene Menge dar, d.h. es enthält alle Punkte, die dieses Objekt bilden, und Objekte können nicht aus anderen, unabhängigen Objekten zusammengesetzt sein. Desweiteren gelten folgende Bedingungen (FLORIANI/ MARZANO 1993, S. 116ff.; SCHNEIDER 1995, S.49ff.):

  1. Flächenobjekte besitzen keine Löcher;

  2. Linienobjekte dürfen sich nicht selbst schneiden und sind entweder geschlossene Kurven (d.h. der Endpunkt ist gleich dem Anfangspunkt) oder sie besitzen genau zwei Endpunkte;

  3. Punktobjekte enthalten genau einen Punkt.

Es ist eine Funktion „dim(x)“ definiert, die die Dimension eines Arguments ermittelt. Ein Punkt besitzt die Dimension 0, eine Linie die Dimension 1 und eine Fläche die Dimension 2. Für jedes Objekt aus P, L oder A ist die Begrenzung (boundary ) folgendermaßen definiert:

  1. P : die Begrenzung eines Punktes ist immer die leere Menge;

  2. L: die Begrenzung einer geschlossenen Linie (Anfangspunkt = Endpunkt) ist die leere Menge, während in den sonstigen Fällen die beiden Endpunkte die Begrenzung darstellen;

  3. A: die Begrenzung einer Fläche ist die sie umschließende Linie.

Das Innere (interior) eines Objektes (0) ergibt sich aus

0 = -  .

Daraus folgt, das der Kern eines Punktes und einer geschlossenen Linie die Objekte selbst sind.(CLEMENTINI/ FELICE/ OOSTEROM 1993, S. 279f.)

Tabelle 4: Schnittmengen zur Bestimmung topologischer Beziehungen

Schnitt Begrenzung von A1 mit Begrenzung von A2

S1 = A1 A2

Schnitt Begrenzung von A1 mit Innerem von A2

S2 = A1 A20

Schnitt Inneres von A1 mit Begrenzung von A2

S3 = A10 A2

Schnitt Inneres von A1 mit Innerem von A2

S4 = A10 A20

Quelle: Nach CLEMENTINI/ FELICE/ OOSTEROM 1993, S. 280

Die Klassifizierung binärer topologischer Beziehungen basiert auf dem Schnitt von Be­grenzung und Innerem geometrischer Primitive, welche durch vier Mengen repräsentiert wird (CLEMENTINI/ FELICE/ OOSTEROM 1993, S. 280; vgl. Tabelle 4) .Jede dieser Mengen kann entweder leer () oder nicht-leer () sein. Die Kombination aller Möglichkeiten ergibt 24 = 16 Fälle. Beschränkt man sich zunächst auf die Betrach­tung von Flächen, sind 8 Fälle nicht möglich und 2 Fallpaare beschreiben dieselbe topologische Beziehung, wobei sie sich lediglich in der Operandenfolge unterscheiden (vgl. Tabelle 5).

Tabelle 5: Mögliche Schnittergebnisse bei Flächen



Quelle: Nach CLEMENTINI/ FELICE/ OOSTEROM 1993, S. 281, verändert

Die ursprüngliche Methode unterscheidet nur, ob das Ergebnis die leere oder die nicht-leere Menge ist. So wird nicht unterschieden, ob die Berührung zwischen zwei Flächen in einem Berührungspunkt oder in einer Linie resultiert. Wird nun auch die Dimension des Schnittergebnisses ausgewertet, erhält man für die Ebene 44 = 256 mögliche Schnitt­kombinationen. Verwirft man die nicht möglichen Kombinationen für die Beziehungen Fläche - Fläche, Linie – Fläche, Punkt – Fläche, Linie – Linie, Punkt – Linie und Punkt – Punkt, so reduziert sich die Anzahl auf 52 mögliche Fälle (CLEMENTINI/ FELICE/ OOSTEROM 1993, S.280ff; VOIGTMANN 1997, S. 64ff).

Eine handhabbare Methode liefern CLEMENTINI/ FELICE/ OOSTEROM 1993, die die Operandentypen auf Flächen ohne Löcher, Linien und Punkte erweitern. In der Ziel­setzung wird aber neben der Formalisierung toplologischer Beziehungen auch deren An­wendung betont. Im Vordergund steht demnach eine Beschränkung auf einige wenige Beziehungen, die von einem Benutzer auch in sinnvoller Weise angewendet werden kön­nen. Gerade diese Anwendbarkeit ist bei einer Fülle von 52 möglichen Beziehungen sehr in Zweifel zu ziehen.

Dazu sind die fünf topologischen Beziehungen „berührt“, „ist innerhalb“, „kreuzt“, „überlappt“ und ist „disjunkt“ definiert (CLEMENTINI/ FELICE/ OOSTEROM 1993, S. 285):

  • berührt“ (touch): betrifft Fläche/ Fläche, Linie/ Linie, Linie/ Fläche, Punkt/ Fläche, Punkt/ Linie Situationen. Da Punkte per Definition keine Begrenzung besitzen sind Punkt/ Punkt Situationen hier nicht möglich. Die formale Definition ist gegeben durch

d.h. 1 berührt 2 genau dann, wenn sich 1 und 2 ausschließlich in ihrer Begrenzung schneiden.

  • ist innerhalb“ (in): dieser Fall ist in allen Situationen möglich und ist definiert durch

 

d.h. 1 ist innerhalb von 2 genau dann, wenn 1 vollständig in 2 liegt und 1 darüber­hinaus nicht ausschließlich Teil der Begrenzung von 2 ist. Beispielsweise ist die erste Bedingung wahr, wenn eine Linie Teil der Begrenzung einer Fläche wäre, aber die zweite Bedingung ist in diesem Fall nicht erfüllt. Stattdessen liegt hier eine Berührung zwischen Linie und Fläche vor.

  • kreuzt“ (cross): die „kreuzt“-Beziehung gilt für Linie/Linie und Linie/Fläche:

d.h. 1 kreuzt 2 genau dann, wenn das Schnittergebniss der inneren Punktmengen der beiden Objekte von einer niedrigeren Dimension ist als die Dimension mindestens eines Operanden (der Schnitt Linie-Linie resultiert in einem Punkt und der Schnitt Linie – Fläche ergibt einen gemeinsame Linie) und darüberhinaus keine „ist innerhalb“ – Situation vorliegt.

  • überlappt“ (overlap): die „überlappt“-Beziehung unterscheidet sich von der „kreuzt“-Beziehung dadurch, daß sowohl die Operanden als auch das Schnittergebnis dieselbe Dimension besitzen müssen, und ist für Fläche/ Fläche - und Linie/ Linie - Situationen folgendermaßen festgelegt:

d.h. 1 überlappt 2 genau dann, wenn identische Dimensionen vorliegen und keine „ist innerhalb“ – Beziehung festgestellt ist. Daraus ergibt sich indirekt, daß sowohl die „kreuzt“ als auch die „überlappt“-Beziehung für einen Punkt-Operanden nicht zutref­fen kann, da das nichtleere Schnittergebnis in einem solchen Fall der Punkt selbst ist und somit eine „ist innerhalb“-Situation vorliegt.

  • disjunkt“ (disjoint): die „disjunkt“-Beziehung komplettiert die Beschreibungs­möglichkeiten des Modells und wird festgelegt durch:

d.h., 1 und 2 sind genau dann disjunkt, wenn sie keinerlei gemeinsamen Punkte be­sitzen.

Mit Ausnahme der „ist innerhalb“-Beziehung sind die Beziehungen symmetrisch, dh. es gilt:

Ausschließlich die „ist innerhalb“-Beziehung ist transitiv, d.h. es gilt:



Abbildung 30: Die fünf topologischen Beziehungen



Quelle: Nach VOIGTMANN 1997, S. 69, verändert

Nach der Definition der möglichen topologischen Beziehungen wird ein Entscheidungs­baum eingeführt, mit dessen Hilfe die Beziehung zwischen zwei Objekten bestimmt wer­den soll. An jedem Knoten des Baumes wird eine Schnittbedingung überprüft und dann entsprechend weiterverzweigt (vgl. Abbildung 31).

Abbildung 31: Der topologische Entscheidungsbaum



Quelle: VOIGTMANN 1997, S.72

Anhand dieses Entscheidungsbaumes kann man zeigen, daß sich zum einen die fünf definierten topologischen Beziehungen gegenseitig ausschließen und zum anderen kein Fall auftreten kann, in dem sich keine der definierten Beziehungen anwenden läßt. Der gegenseitige Ausschluß leitet sich daraus ab, daß an jedem inneren Knoten des Baumes ein Prädikat zu überprüfen ist und im „wahr“-Fall nach links und im „falsch“-Fall nach rechts verzweigt wird. Dieses Vorgehen wird solange wiederholt bis ein Blatt des Baumes erreicht wird, das für eine der fünf definierten Beziehungen steht.1 Für jede Objektkom­bination kann nur ein Pfad durchlaufen werden, der immer in einem Blatt endet, so daß nie zwei oder mehrere Beziehungen gelten können. Da jeder innere Knoten zwei Äste besitzt, gibt es für jedes Ergebnis der Bedingungen einen Pfad und dieser Pfad endet immer in einem mit einem topologischen Prädikat bezeichneten Blatt. Damit ist gesichert, daß für jede Objektkombination eine Beziehung festgestellt wird und kein undefinierter Fall ein­treten kann (CLEMENTINI/ FELICE/ OOSTEROM 1993, S. 282ff; VOIGTMANN 1997, S. 67ff). Damit ist diese Methode in sich eindeutig und abgeschlossen.2

Für eine Verwendung dieser Definition in einem GIS sprechen folgende Punkte:

  1. Die topologischen Beziehungen zwischen raumbezogene Objekten werden mit Hilfe von bekannten Begriffen beschrieben. Ein Benutzer hat schon im Vorfeld eine Vor­stellung, was die Beziehung ausdrückt und wie er sie für seine Problemstellung inter­pretieren und anwenden kann.

  2. Die den Begriffen im sprachlichen Umgang anhaftende Unschärfe wird durch die prä­zise formale Definition beseitigt. Dabei hält sich der Abstraktionsgrad (Beschreibung geographischer Objekte als Punktmengen und der Schnitt zwischen diesen Mengen) noch in Grenzen und baut auf bekannten sowie nachvollziehbaren Abstraktionen auf.

  3. Das Modell ist in sich konsistent und eindeutig. Jedes Objekt steht in genau einer Be­ziehung zu einem anderen Objekt. Mehrere gleichzeitig erfüllte Beziehungen sind nicht möglich.

  4. Aus den gegebenen Prädikaten können durch Kombinationen neue Prädikate definiert werden. Beispielsweise könnte ein einfaches „schneiden“-Prädikat dadurch gebildet werden, daß man überprüft ob sich die betreffenden Objekte überlappen, kreuzen oder ein Objekt innerhalb des anderen Objekt liegt.

  5. Wie bei VOIGTMANN 1997 (S. 72f.) gezeigt, kann das Modell auch auf den drei­dimensionalen Raum und auf Objekte mit Löchern erweitert werden, ohne daß Inkon­sistenten auftreten.